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04.09.2014

Vorab... (zu den Rezepten 1)




Seit meiner frühen Kindheit Anfang der 1960er Jahre wurde mein Geschmacksempfinden während alljährlicher Urlaubsaufenthalte mit meinen Eltern in Italien konditioniert. Zu dieser Zeit wurde auch noch in touristischen Hotels regional unverwechselbar gekocht und diese Gerichte, die mir als kleinem Jungen zuteil wurden, waren aufwendigst zubereitet und besassen einen jeweils typischen Geschmacksduktus der sich mir nachhaltig eingeprägt hat.
Diese Gerichte wurden nicht nur in klassisch italienischen, für uns ungewöhnlichen Gangfolgen von Antipasti, Primi Piatti, Pasta, Secondi Piatti mit Contorni, Frutta, Formaggi, Dolci und Café serviert, sondern sie waren unglaublich reich angerichtet. So ass ich schon früh all die Dinge, die ich mir dann später einfach nicht mehr leisten konnte oder leisten wollte, Langusten, Ährenfischchen, Polypen, Seezungen, wie auch die Zungen von Kälbern und die Beine von Schweinen in allen nur denkbaren Varianten. Ich ass Gemüse, deren Namen ich noch nicht einmal kannte, bemerkte den sparsamen Einsatz der Kartoffel, dafür die inflationäre Verwendung von Pasta und ich erlernte die zweckdienliche Benutzung sämtlicher Trinkgläser eines Gedecks. Während so nachdrücklich meine noch unbedarfte Lust am italienischen Genuss geprägt wurde, erschien damals dieses Essen dem typischen Deutschen der Kriegsgeneration in seiner Komplexität als zutiefst fordernd und fremdartig, wie ich an meiner eigenen Familie feststellen konnte ("Fleisch ohne Beilage, den Salat vorher und dann das ganze Öl…").

So vergingen die frühen Jahre meiner Kindheit mit Reisen in verschiedene Küstenregionen. Bei meiner ersten unabhängigen Urlaubsreise zusammen mit dem Sohn eines benachbarten Busreise-Unterunternehmers in deren eigenes Hotel am Strand Venedigs, wurde meine Erfahrung nochmals erweitert. Ich wurde im Zimmer gleich neben den Kochangestellten einquartiert und bekam so Einsicht in das alltägliche unglaublich aufwendige Küchenprogramm eines solchen Hotels. Dort wurde morgens um fünf Uhr mit den mannigfachen Vorbereitungen begonnen, welche Abends um sechs dann endlich abgeschlossen waren. Ich konnte dabei den Köchen zusehen und hier und dort von vielen mir unbekannten Dingen kosten dürfen. So verwundert es warscheinlich nicht, als ich dann endlich mit eigenem Auto selbst nach Italien fahren konnte, dass ich die Gelegenheit nutze, Regionen aufzusuchen, die meine Eltern gemieden hatten. Das führte mich vor allem in das Landesinnere, die Regionen Toskana, Umbrien, Lazium, Kampanien und auf einige Inseln. Mein Interesse selbst zu kochen war im Alter von 18 Jahren zart entwickelt und so versuchte ich mich bereits zu dieser Zeit an einfachen Pastagerichten. Aber die etwas komplexeren Dinge mussten eifach scheitern, fehlte mir doch noch jede Technik zur Zubereitung, das Wissen um und vor allem die unverwechselbaren Zutaten selbst. In den 1980er Jahren konnte ich dann durch regelmäßige Aufenthalte bei meiner damaligen Freundin in Milano erstmalig mit authentischen Zutaten meine eigene Kocherfahrung vor Ort erweitern. Der Wochenmarkt der norditalienischen Metropole bot alles was das Herz begehrte und dazu das was es noch nicht kannte und ist bis heute für mich das Mass der Dinge für einen Wochenmarkt. So konnte ich mir nachhaltig einen umfangreichen Produktkanon saisonaler Angebote aneignen und wurde darüber hinaus von kundiger Hand bei der Zubereitung geführt. Leider zerbrach diese Beziehung nach wenigen Jahren aufgrund der großen Entfernung, aber meine Espressomaschine, -mühle und jede Menge italienischer Erfahrung verblieb. Mit Wehmut musste ich nun in den frühen 1980er Jahren wieder in bundesdeutschen Supermärkten Eiernudeln und holländisches Gemüse einkaufen, noch nicht einmal ungemahlener Espresso war zu bekommen, außer bei professionellen Gastronomielieferanten, die ihn selbst importierten und nur in 10kg Gebinden verkauften.

1990 erwarb ich einen Wohnsitz in der Region Ligurien und seit dieser Zeit versuchte ich selbst den Nachschub mit »dem Wichtigsten« sicherzustellen. Zu dieser Zeit war mein Alfa-Romeo-Kombi auf den Rückfahrten teilweise dermassen überladen, das dabei die Grenzen der Fahrsicherheit überschritten wurden. Dennoch gab es dazu keine Alternative auf dem Rückweg in die deutsche Diaspora? Mit Einführung des heutigen Freihandelsraums 1993 in der EU wurde die Versorgung mit vielen Dingen so selbstverständlich, wie man es heute kennt. So ist inzwischen eine umfangreiche Grundausstattung italienischer Produkte in jedem Supermarkt gewährleistet, auch wenn dies vor allem industriell gefertigte Lebensmittel für einen globalen Markt sind, die die typischen unverwechselbaren Eigenschaften und Qualitäten der regionalen Produkte dort längst abgelegt haben. Ich war mir irgendwann restlos sicher, dass nur italienische Produkte ins Ausland gehandelt werden, die sich in im Heimatmarkt als unverkäuflich erwiesen, und das will etwas heissen… Der Italiener der in der Regel ungefähr die Hälfte seines Einkommens für Speise und Trank ausgibt, ist ein entsprechend anspruchsvoller guter Kunde. Italienische Lebensmittelproduzenten haben deshalb eine einzigartige Marktposition und leben ganz ausgezeichnet davon, dass sie Spitzenprodukte anstreben. Die verbraucherware, wie sie bei uns die Regel ist, wie z.B. das was in deutschen Fleischtheken gehandelt wird, wäre in Italien absolut unverkäuflich. Lebensmittel bestehen in Italien auf der Zunge, und nicht wie sonst  üblich durch das clevere Produktmarketing. Wer einmal in einem us-amerikanischen Feinkostgeschäft für "sogenannte italienische Produkte" umgesehen hat, kennt die gesteigerte Form des Abverkaufs.
Aber auch regionaltypische einzigartige Produkte wie Öle und Käse fanden inzwischen ihren Einzug in die globale Welt durch Selbstvermarktung der Produzenten im Internet, vieles ist somit auch in Deutschland zu bekommen, wenn auch bei Leibe nicht alles.


Albero di Natale

Nur für die richtig einzigartigen Dinge muss man sich wirklich strecken,
– und das ist auch immer noch mehr als gut so, – salvare capre e cavoli!

Bald geht es weiter, Volker

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